Das Sexuelle, die Frauen und die Kunst

Dokumentation des Symposions „Weibliche Sexualität und Kreativität in Psychoanalyse und Literatur“, an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Mai 1987. Konzept und Organisation: Karin Rick

Auszüge aus: 

Christina von Braun, „Männliche Hysterie – weibliche Askese, Zum Paradigmenwechsel in den Geschlechterrollen“:
Das Paradigma ist bekanntlich ein Denkmuster oder eine Betrachtungsweise mit der die Realität untersucht und erforscht wird und die im Allgemeinen dazu führt, dass sich die Wirklichkeit selbst verwandelt. Letztlich sind Paradigmen also zu vergleichen mit Mythen oder sogar Religionen, die – wir wissen es deutlich genug vom Monotheismus – die Realität verändern. Sie treten jedoch im Unterschied zu den Religionen mit einem eher wissenschaftlichen Anspruch auf – also dem Anspruch, ein getreues Spiegelbild der Wirklichkeit zu liefern.
Der Paradigmenwechsel um den es hier geht, betrifft die Geschlechterrollen und fand statt – seit etwa der Aufklärung. Natürlich brachte die Aufklärung auch andere Paradigmenwechsel, aber – ich hoffe, das wird aus dem Vorgetragenen deutlich werden – die anderen Paradigmenwechsel sind meines Erachtens untrennbar von denen, die die Geschlechterrollen betreffen.
Es gibt zwei große Geschlechterrollenmythen, die in der Aufklärung einen grundlegenden Wandel erfahren: Das eine ist der Mythos des Don Juan, das andere der Mythos der Hexe bzw. ihrer Nachfolgerin Carmen.
An der Figur der Carmen verwundert vor allem der Wandel in der Bewertung des Mythos Hexe, deren Verkörperung sie doch unbestreitbar ist – allein das Wort „Carmen“ heißt soviel wie „Zauberspruch“ – verwundert also die neue, positive Einschätzung der unbändigen, den Leidenschaften ergebenen – gewissermaßen besessenen – Frau.
Was Don Juan betrifft, so vollzieht sich im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts ebenfalls ein Wandel. Der Eroberer, einst den Sinnen, der Lust und der Anarchie verschrieben, wird sich zunehmend „vergeistigen“, er wird zum Asketen, der nur mehr der „Idee des Weibes“ nachjagt, wie Ernst Bloch über den Lenau’schen Don Juan schreibt. Nicht mehr der Körper der Frau interessiert ihn, sondern das entleibte Frau-Sein. Als Sexualpartner verschwindet er völlig – er wird zum Schwächling, zum Versager im Bett.
Vor allem die Künstler und Schriftsteller der Romantik und der Décadence erscheinen wie das realistische Spiegelbild des versagenden, effeminierten Don Juan…..
Der Mythos Carmen wird tatsächlich begleitet von der allmählichen Emanzipation der Frau. Frauen erkämpfen sich den Zugang zu diversen Berufszweigen, erringen Unabhängigkeit und kämpfen für die „freie Liebe“, sie erheben Anspruch auf eine Sexualität, die vom Korsett einer einschnürenden Moral befreit ist.
Aber es gibt auch Entwicklungen, die genau das Gegenteil besagen, und diese sind nicht minder mythisch – auch wenn sie meist aus dem Bereich der sogenannten Wissenschaften kommen. …..

Auszüge aus:

Eva Meier, “Die Autobiographie des Weiblichen“:
Eine Autobiographie, die sich weiblich nennen würde. In ein und derselben Geste der Benennung sowohl das Genre als auch das Geschlecht vorgäbe. Das hieße alle transzendentalen oder wesentlichen Ansprüche des Eigennamens zurückweisen, in einer Geste, die seine Unmöglichkeit zugibt: die Unmöglichkeit eines ungeteilten Titels, des Begehrens, das eigene Begehren das Begehren einer Frau zu nennen, diese unmögliche Geste der Aneignung des anderen. Welche Praxis auch immer der Name „weiblich“ als eigen autorisieren würde, kann daraus keine Politik des Eigentums ableiten, die Weibliches – nur noch einmal – als das Andere, Negative, Verdrängte usw. festschreiben würde. Denn das, was das Weibliche interessiert, ist die Unmöglichkeit dieses Namens als eine Möglichkeit, ihn über die eigenen Grenzen hinaus auszuspielen, für ein namenloses Anderes, das nicht das Andere des Einen wäre, hin zu Unentscheidbarkeit seiner Herkunft, derjenigen, zu der es zurückkehrt.

Auszüge aus:

Hélène Cixous, „Von der Szene des Unbewussten zur Szene der Geschichte“:
Alles, was ich sagen werde, werde ich wirklich gedacht haben. Das wird nicht heißen, dass es für alle „wahr“ sein wird. Denn wenn es um die Schrift geht, geht es immer, kann es nur immer um Wahrheit gehen. Ich sage, um Wahrheit und ich sage nicht um Wissen und ich sage nicht um Erkenntnis. Es geht um unbekannte Wahrheiten. Schreiben bewegt sich im Dunkeln zu diesen Wahrheiten. Man weiß nicht. Man geht. Ich bin das, was ich mit geschlossenen Augen spüre. Spüren täuscht nicht.
Gerade dann, wenn man wissen will, irrt man sich oft. Ich ahne. Dann versuche ich, in Worte zu übertragen, was sich im Fieber, im Klopfen des Herzens, in Lichtgesängen schreibt. Ich frage mich, wie sich das nennt.
Ich bin nicht jemand, der die Dunkelheit liebt: Dort bin ich ja. Dadurch, dass ich sie bewohne und sie durchlaufe und sie in Worte fasse, scheint es mir, dass sie sich erhellt oder sie wird einfach liebenswürdiger zu mir.
Ich fühle mich jenen zugehörig, die das Vorhandensein von Geheimnissen nicht leugnen, die im Inneren der Welt schlagen. Was ich nicht verstehe, respektiere ich.
Ich liebe das Bevorstehen des Lichtes. Sein Versprechen.

 Theorieband zur weiblichen Ästhetik, Verlag C. Gehrke, Tübingen 1987

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Karin Rick: Vorwort
Christina von Braun: Männliche Hysterie, weibliche Askese – Zum Paradigmenwechsel in den Geschlechterrollen
Rita Bischof: Formen poetischer Abstraktion im Werk Meret Oppenheims
Hélène Cixous: von der Szene des Unbewussten zur Szene der Geschichte, Weg einer Schrift
Eva Meier: Autobiographie des Weiblichen
Christine Garbe: Fiktionen weiblichen Begehrens, eine Re-vision der sexuellen Diskurse von J.-J. Rousseau und F. Schlegel
Béatrice Slama: Anna, Anne und die anderen… Weibliche Sexualität und Identität Frau
Marietta Zeug: Die „phallische“ Frau
Barbara Sichtermann: Sind Frauen das friedlichere Geschlecht?
Dorothea Zeemann: Eros gegen Thanatos