Venuswelle meets HeForShe
das Publikumsgespräch

Karin Rick liest in der Buchhandlung Löwenherz, 1090 Wien, anlässlich des
HeForShe Vienna Event Weekends TOGETHER 4 CHANGE
21.9.2017

Gerhard Wagner, HeForShe Vienna:
Ich freue mich sehr, Sie im Namen von HeForShe Vienna in der Buchhandlung Löwenherz begrüßen zu können. Die internationale UN Women Kampagne HeForShe feiert heuer ihren dritten Jahrestag. HeForShe Vienna widmet diesem Jubiläum das Event Weekend ‚Together4Change’ mit Lesungen, Diskussionen und einem Forum Theaterstück. Unsere Bewegung setzt sich für eine menschlichere und geschlechtergerechtere Gesellschaft ein. Um dies zu erreichen ist es besonders wichtig, Genderstereotype aufzubrechen und sich gewahr zu werden, dass sexuelle Identitäten etwas Fließendes sind und dass alle unterschiedlichen Ausprägungen dieser Identitäten gleiches Recht auf Verwirklichung haben. Ich freue mich deshalb ganz besonders, die Autorin Karin Rick heute begrüßen zu dürfen, die sich in ihrer Literatur mit Formen von sexuellem Begehren und Identitäten auseinandersetzt, die sich starren Kategorisierungen widersetzen und damit Gendergrenzen sprengen.

(40 Minuten Lesung von Karin Rick aus Venuswelle)

Ausgewählte Fragen und Antworten:

HeForShe: Danke vielmals, Karin Rick. Ich kannte den Roman zwar schon, aber es ist ein ganz besonderes Erlebnis, ihn jetzt auch von Dir vorgelesen zu bekommen. Die Handlung und die Szenen, diese Liebesgeschichte zwischen Steve und Nina und seinem imaginierten Alter Ego Cindy werden da besonders plastisch und noch intensiver. Nun gleich meine erste Frage:
Die sexuelle Identität ist ja etwas sehr Intimes und Privates. Mit Cindy, Steves weiblichen Alter Ego personifizierst du in deinem Roman die sexuelle Identität und machst sie zu einem öffentlichen Thema. Was bewegt dich dazu darüber zu schreiben?

Karin Rick: An der Handlung von Venuswelle, einer Liebesgeschichte als „ménage à trois“ von zwei Personen und einer fantasierten dritten Persona hat mich vieles ganz besonders gereizt.
In erster Linie Menschen, die jenseits des allumfassenden medialen Bombardements von Mainstream-Sexualität, doch ihr eigenes Ding durchziehen. Die faszinieren mich und ich setze ihnen mit dem Roman gewissermaßen ein Denkmal. Sie widersetzen sich der Normierung durch ein Einheitsschema des Begehrens, auch wenn es auf ersten Blick ganz unmöglich scheint aus einem solchen Schema auszubrechen.
Die Hauptperson des Romans, der Surfer und DJ Steve ist der Normierung allein schon auf Grund seines Lebensumfeldes besonders ausgesetzt, und wagt doch den Schritt in eine andere Richtung, für die er kaum Vorbilder hat. Er kommt aus der bildungsfernen Unterschicht von Blackpool, die wenig Toleranz für diverse Spielarten von Sexualität und Begehren, ja für andere Lebensformen aufweist. Frauen wollen vor allem Kinder und einen Mann, der sie versorgt, eine Kleinfamilie halt, Steve flüchtet vor ihnen. Steves Freunde leben dieses Modell oder sind kurz davor, sich zu binden. Steve hat mit einem outing mehr zu verlieren als Nina, die Starfotografin aus München. Deswegen würde ich sagen, Sexualität ist eben nicht nur etwas Privates. Jeder sexuelle Akt ist politisch.

HeForShe: Du brichst unzählige Rollenklischees und sprengst die Grenzen von starren gesellschaftlichen Denkmustern. Warum gerade im Schreiben über Sexuelles?

Karin Rick: In keinem anderen Moment wird unser Bezug zur Zeit, zum Leben und zum Tod so deutlich wie in einer sexuellen Begegnung. In einer Situation, in der zwei Menschen erstmalig einander gegenüberstehen, sozusagen in einem intimen, privaten Raum, auf ihrer nennen wir es heimlichen Bühne wird besonders deutlich, wie existentiell bedrohlich ein solcher Moment für das Individuum sein kann. Als Steve sich in Ninas beengend kleinen Badezimmer zum ersten Mal als Frau kleidet, kommen ihm Zweifel, ob er genau in dieser Art, Sex zu wollen und Sex zu leben, als Frau begehrt zu werden, bei Nina ankommen wird. Ob sie sich nicht vielleicht doch über ihn lustig machen wird. Er fragt sich auch, warum sie darauf einsteigt. Ob sie wirklich genauso wie er dazu getrieben wird. Und der Schritt aus dem Bad heraus wird zu einer Nagelprobe für sein Gefühl von Wirklichkeit versus bloßer Imagination.
Im Grunde gilt das für jede sexuelle Begegnung. Die Angst, sich auszusetzen und zurückgewiesen, quasi „vernichtet“ zu werden in seinem sexuellen Sein, ist immer da. Aber bei einem sexuellen Begehren, das von der Gesellschaft nicht unterstützt wird ist die Bedrohung umso größer. Georges Bataille rückt in seinem Buch, „Die Tränen des Eros“ die Verbindung von Eros und Tod in den Mittelpunkt, und um die geht es auch auf der Bühne des Sexuellen. Nina, Steve und sein alter Ego Cindy erleben in dem kleinen Raum, in dem sie sich ihrem Phantasma hingeben auch diese Nähe von Eros und Tod.

HeForShe: das Setting des Romans ist sicherlich nicht umsonst eine Vulkaninsel, oder?

Karin Rick: Das Vulkanische habe ich bewusst gewählt, weil es das Eruptive der Sexualität symbolisiert. Und Urlaub auf einer Insel ist gewissermaßen eine Ausnahmesituation im Leben genau wie Sexualität auch.

HeForShe: Wenn du schreibst, hast du dann die ganze Geschichte schon so grob im Kopf oder entwickelt sich die Geschichte beim Schreiben erst so richtig?

Karin Rick: Ich habe ungefähr im Kopf, was ich sagen will und baue mir zuerst die Struktur auf, dann stelle ich die Figuren zusammen, die gewisse Aspekte der Geschichte verkörpern sollen. Also Steves Freunde und Eltern, seine Arbeitskollegen, als Garanten der gegebenen Ordnung, Nina als die Katalysatorin. Das genaue Ende des Buches weiß ich, wenn ich zu Schreiben beginne noch nicht. Wieviel Drama die Geschichte verträgt. Und Nina sollte ja nicht nur Auslöser für die Entwicklung von Steve sein, sondern auch ihr Eigenleben führen und ihre eigenen Sehnsüchte verfolgen.
HeForShe: Haben sich Steve, Nina und Cindy so entwickelt wie geplant oder haben sie am Ende doch ein unvorhergesehenes Eigenleben entwickelt? Machen eigentlich die Figuren auch gelegentlich was sie wollen?

Karin Rick: Ganz können sie nicht machen was sie wollen, denn immerhin habe ich sie ja geschaffen (lacht). Aber es gibt schon Szenen, die vorher nicht so gedacht waren. Und manchmal kommen Figuren, die ich nicht geplant habe und wollen mitspielen. Die müssen dann auch durch die ganze Handlung getragen werden. Und natürlich wollte ich, dass meine Hauptpersonen sich in Richtung Loslösung von Ängsten und Erwartungen der anderen entwickeln.

Kommentar aus dem Publikum: In Bezug auf die Schlüsselszene vor dem Spiegel im Bad fand ich bemerkenswert, dass Steve, bevor er sich dieser existentiell bedrohlichen Situation des „sich aussetzen“ stellt, sich erst einmal selbst verletzt. Der Mascara Stift rutscht ihm ins Auge und er rubbelt so fest, dass das Auge zu tränen beginnt. Diese Selbstverletzung kurz bevor eine mögliche Verletzung durch die Partnerin im erotischen Spiel stattfindet, ist für mich sehr symbolhaft, mehr noch als das Bild mit dem Surfen und der Welle, das er heraufbeschwört, um seine Ängste zu beschwichtigen.

Karin Rick: Das stimmt, das ist der stärkste Moment in dieser Umkleidekabine, dass er sich einmal unbewusst selbst Schmerz zufügt. Die von ihm erträumte Idealfigur Cindy bekommt mit ihrem Eintreten in die Realität einen ersten Riss.

Kommentar aus dem Publikum: Und für mich ist das Gelingen dieser ersten sexuellen Begegnung gar nicht so sehr der Orgasmus der beiden, wie man annehmen könnte, sondern viel eher das Glücksgefühl, das sie beide nachher empfinden als sie auf der Terrasse sitzen. Also vor allem für Steve ist damit sein Phantasma durch die Realisierung intakt geblieben.

Frage aus dem Publikum: Sie haben die männliche Hauptperson Steve in der Ich-Form geschrieben. Warum?

Karin Rick: Danke für diese Frage. Die ist sehr wichtig für mein Schreibverfahren. Dieser Perspektivenwechsel im Buch, einmal Steve in der Ich-Form, dann Nina in der dritten Person war ein Novum für mich. Erstmalig habe ich die Ich-Perspektive einer männlichen Hauptperson überlassen, und sie dadurch verletzbarer, angreifbarer, berührbarer gemacht. Ich fand das glaubwürdiger, als immer nur aus dem Blickwinkel eines weiblichen Ichs zu schreiben, das dann definiert und bestimmt, was man über den Partner erfährt.

Publikum: War das schwierig, sich in einen Mann hinein zu fühlen?

Karin Rick: Anfangs schon, aber die großen Gefühle wie Liebe, Verlust und Kränkung sind ja universell, also war es dann doch einfacher als gedacht.

Publikum: Was ist das Besondere daran, über Sexualität zu schreiben?

Karin Rick: Es ist herausfordernd, das sexuelle Erleben in Schrift umzusetzen. Eigentlich geht es ja auch beim Schreiben um Ekstase. Um einen Moment, in dem das normale Fortlaufen der Zeit in Richtung Tod aufgehalten wird, weil der Moment als ewig erlebt wird, sowohl in der sexuellen Vereinigung als auch im Schreiben und im Schreiben über den Akt. Sicherlich ist dies eine Art Illusion, aber trotzdem bedeutet das Freiheit für mich. Ich bin von den 70ern beeinflusst, eine Zeit, in der Sexualität als einzige Freiheit gesehen wurde, die in dieser Gesellschaft noch möglich ist. Ich kann nicht umhin, immer noch daran zu glauben. (lächelt)

HeForShe: Schreibst du auch im Urlaub?

Karin Rick: Nein. Da mache ich Urlaub. Also fast. Manchmal schreibe ich trotzdem, wenn eine Deadline einzuhalten ist. Jean-Paul Sartre sagte ja einmal, man muss sich entscheiden: entweder leben oder schreiben.

HeForShe: Vielen Dank Karin Rick für dieses tolle Gespräch.