Bella, Barbie und Priscilla – Geschöpfe ungezügelter Konsumwelt oder Duft der Freiheit? – Teil 2

Poor Things

Parthenogenese neu erzählt: Zeus‘ Kopfgeburt Bella bleibt nicht die brave Vatertochter, sondern zieht aus, mit Intellekt und Libido das Patriarchat ihrem Willen zu unterwerfen.

Der Film Poor Things mit neun Oscar Nominierungen und einer großen Anzahl an bereits verliehenen Preisen, u.a. Goldener Löwe für Regie in Venedig und Golden Globe für Emma Stone als beste Hauptdarstellerin, kann als Frankensteinparodie und Emanzipationsdrama gelesen werden. Ein Wissenschaftler (Willem Dafoe) kreiert aus dem Körper einer sterbenden Schwangeren und dem Hirn ihres Embryos ein weibliches Kunstwesen, das sich unbeeindruckt von Moral, Sitte, Konventionen und Gängelungsbemühungen seinen Weg durch die bessere Gesellschaft bahnt, erstakst, ertanzt, erstreitet. Sexuell gierig und ungezähmt, wissensdurstig und mit scharfem Intellekt führt Bella Baxter starre gesellschaftliche Disziplinierungen ad absurdum. Sie konterkariert jeden Versuch ihrer mächtigen männlichen Gegenüber, sie einzusperren, für sich zu behalten, oder unschädlich zu machen, gegen Ende des Films sogar zu kastrieren. Sie ist ‚eine wandelnde, enorm willensstarke menschliche Tabula Rasa‘. [1]

Wir tauchen ein in ein bombastisches Fest weiblicher Befreiung. Es gibt scheinbar nichts, was Bella Baxter davon abhalten kann, sich die Erde untertan zu machen. Sie ist allmächtig. Sie ist weder durch männliches Dominanzgebaren noch durch Argumente, oder schlechte Erfahrungen einschüchterbar. Männer in ihrer zurückgewiesenen Passion reagieren auf sie mit Resignation, Wut, Hass, Flucht in den Wahnsinn oder mit dem Vorhaben, Bellas Libido mittels OP ganz zu vernichten, sie psychisch, physisch zu zerstören und gesellschaftlich auszulöschen, aus ihr die lustlose, asexuelle Gebärmaschine für das Erbe zu machen, das, was eine Frau ihrer Meinung nach sein soll. Sie wehrt sich Witz, mit Gleichgültigkeit, Wandlungsfähigkeit und cleveren Strategien. Sie gewinnt, überlebt sogar ihren Creator, ‚God‘ Baxter und wird selbst zur Schöpferin.

So stellt sich ein männlicher Regisseur, Yorgos Lanthimos weibliche Emanzipation vor: unschlagbarer Intellekt und Ja zu multiplen Orgasmen. Er interessiere sich besonders für Frauen und ihren Umgang mit Männern. Vielleicht deshalb, weil das Kino ihm nie viele Protagonistinnen gezeigt habe, zitiert ihn die NZZ.[2] Mit seinem Werk Dogtooth hatte er in Cannes 2009 die Filmlandschaft das erste Mal aufgewirbelt, mit ihm begann die „Weird Greek Wave“, ein Kino das „Beziehungen als sinnliche Experimentalanordnungen inszeniert“[3]. In Poor Things wird diese Forderung wörtlich genommen, die Story beginnt in einem Labor und endet auch dort.

Aber ist Poor Things vielleicht doch nichts anderes als erneuter Aufguss männlicher Schöpfersehnsucht, statt einer realen Frau eine Kunstfrau zu schaffen, um sie beim Ausbruch aus patriarchalem Dominanzgebaren zu begleiten? Schön brav kontrolliert und in einem fantastischen Universum? Ein schwarzhumoriges Märchen, eine Versuchsanordnung, beginnt der Film doch im Labor von Godwin Baxter, dem schrägen Forscher, der noch andere hybride Geschöpfe um sich schart. Gleich in der ersten Einstellung wird unser Blick durch eine Fischaugenlinse geführt und wir verstehen, dies ist keine Realität, sondern nur Fantasy. Eine utopische Welt bietet sich als einziges Setting an, in der sich weiblicher Intellekt und Sexualtrieb voll entfalten können. Da ergibt sich eine weitere Frage im Bezug zu der Schwangeren, aus deren Bauch das Gehirn ihres Nachwuchses geschnitten wird, um ihrem Kopf eingepflanzt ein neues, anderes Leben zu führen: Braucht es den Muttermord, um ein solch perfektes Wesen zu erschaffen, das, im Körper der eigenen Mutter, einen neuen Anlauf zur Befreiung nimmt, nämlich den, den die Mutter selbst nicht geschafft hat, sonst hätte sie nicht Suizid begangen? Oder, um es in Worten der zeitgenössischen Reproduktionsmedizin auszudrücken: Kann nur eine sterbende Schwangere als fötales Umfeld mit männlicher Nachhilfe ein Superhirn gebären, das in einem weiblichen Körper dem Patriarchat auf die Füße steigt? Fragen über Fragen, die so schnell keine Antwort finden, aber zu neuem Grübeln über Identitäten und Ausbrüche führen.

Barbie und der Rabiatkapitalismus

 Wenn man sich andere Blockbuster anschaut, die in den letzten Monaten Furore gemacht und Medien und Publikum beschäftigt hatten, so kommt man unweigerlich auf eine weitere Figur weiblichen Ausbruchs: Barbie. Der erste Realfilm über die Puppe löste 2023 eine Modewelle in Pink aus, es gab ein Jahr lang keine anderen Farben in Bekleidungsshops und Einrichtungshäusern, auch ich wurde davon angesteckt und ging in Pink gekleidet zur Premiere. Er spülte 1,38 Milliarden Dollar in die Kinokassen (Produktionskosten 130 Millionen) und brachte einen veritablen Hype um die Plastikpuppe in allen Variationen. Die Besucherzahlen brachen schon in den ersten Wochen alle Rekorde und damit avancierte er weltweit zum Film des Jahres. In Putins Russland kursieren Raubkopien. Mit der Co-Produktion sanierte sich die marode Spielzeugfirma Mattel, Erfinderin von Barbie, sie schloss an die 100 Markenkooperationen ab, von Brotdosen bis zum Hundezubehör, und dies, obwohl der Konzern jeweils bis zu 15% bei Lizenzgebühren lukrierte. Auch was die geschriebenen Zeilen und die gesendeten Minuten betrifft war Barbie der Kinofilm des Jahres 2023. Selbst ich war verzaubert, hatte doch auch ich als Kind eine Barbiepuppe in rosa Satinabendkleid, damals der letzte Schrei am Kinderspielzeugsektor.

Der Film ist Märchen und Musik Revue in einem und wird als Emanzipationsdrama vermarktet. „Einmal Patriarchat zerschlagen mit Barbie“, titelt FM4, „Barbie, die pinke Absage an das Patriarchat“, so der Boulevard. Er trompetet den Lifestyle der amerikanischen Luxusgesellschaft unter kalifornischer Sonne hinaus. Barbie, grandios gespielt von Margot Robbie, lebt glücklich und sorgenfrei in ihrer heterosexuellen rosa Wunderwelt Barbieland, mit anderen perfekt schönen, jungen Barbies aller Berufe und Hautfarben und nebenbei auch den Kens, handsome guys, einer davon Ryan Gosling. Es versteht sich von selbst, dass in diesem ‚feministischen‘ Traumland die Barbies Richterinnen, Präsidentinnen, Doktorinnen sind, und die Kens irgendwo am Strand mit dem Surfbrett posieren, ihre Bodys herzeigen und mehr oder weniger belächelt werden. Alles paletti für die Frauenwelt. Durch plötzlich auftauchende Gedanken an den Tod, und dies während einer Glitzerdisco-Party zu dem aufpeitschenden Sound von Dua Lipa, wird Barbie aus ihrer gelackten Routine geworfen und von der Truppe ausgestoßen, denn auf einmal ist sie nicht mehr perfekt. Zweifel und Todesängste haben hier nichts verloren. Der Zauber ist vorbei. Um sich zu retten, muss sie in die Menschenwelt. Dort herrscht das umgekehrte Gesellschaftsmodell. Männer sind an der Macht, Frauen strudeln sich ab und verzweifeln an der gläsernen Decke. Der Konzern Mattel will die widerspenstige, unangenehme Fragen stellende, zum Leben erwachte Puppe wieder in die Cardboard-Box sperren. Doch nicht mit Barbie. Ihr naives Selbstbewusstsein rührt von ihrer heilen Plastikwelt, und das will sie garantiert nicht verlieren, schon gar nicht ihre Freiheit. Das Kunstwesen bricht aus und stürzt den Konzernchef in eine existentielle Krise. Es wird turbulent, als Barbie in ihr Reich zurückehrt. ‚Ken-Land‘ ist dort ausgebrochen. Die Machos regieren, die Barbies, brainwashed, liegen ihnen zu Füßen. Die Spielzeugindustrie ist ihrer starken Hauptheldin beraubt. Der unique selling point des Unternehmens ist gefährdet. Doch Ende gut alles gut. Die Barbies proben den Aufstand. Barbieland wird gerettet, die Kens besiegt, sie werden auf Identitätssuche geschickt. Und die Firma floriert.

 Trotz des rasanten Tempos, der üppigen Traumkulissen, vieler Gags, die vor allem jene zu goutieren wissen, die selbst eine Barbie Puppe besitzen oder besessen hatten, der umwerfenden Präsenz von Margot Robbie und Ryan Gosling, bleibt ein schaler Nachgeschmack. Das Patriarchat wird zwar in der Puppenwelt besiegt, doch über diese herrscht der Konzern Mattel und der richtet sich nach den Regeln des Marktes, des Kapitals, der realen Männerwelt. Macht nichts, eineinhalb Stunden lang durften wir Kind sein, träumen und die Täuschung genießen. … (Weiter in Teil 3)

[1] Andrey Arnold, in: Goldener Löwe für fantastischen „Poor Things“, die Presse, 10.9.23

[2] Denise Bucher in: Yorgos Lanthimos, Regisseur der brillanten Komödie «Poor Things», Meister der Groteske. 

NZZ, 13.1.24

[3] Valerie Dirk in: „Poor Things“: Die sinnliche Neugier der Bella Baxter, der Standard, 18.1.24

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