Bella, Barbie und Priscilla – Geschöpfe ungezügelter Konsumwelt oder Duft der Freiheit? – Teil 3

Priscilla – rette sich, wer kann

Der dritte Film spielt ebenfalls in einer Illusionswelt, der des Show-Biz. Doch ist es eine reale Lebensgeschichte, die hier inszeniert wird. Sofia Coppola, Chronistin weiblicher Ich-Werdung in Zwangsstrukturen, beleuchtet das Leben von Priscilla, Ehefrau von Elvis Presley. Das Timing ist gut gewählt, 2022 zum 45. Todestag kamen wieder einmal Elvis‘ Leben und Karriere auf die Leinwand, der Monumentalfilm „Elvis“ von Baz Luhrmann. Elvis wird „als Superheld, als Überflieger, als musikalisches Genie, der als Weißer den Blues in den Hüften hat und ein gespaltenes Land versöhnen könnte.“ [1] inszeniert. Die Gattin Priscilla wird erst im letzten Teil kursorisch erwähnt. Ein Film über sie, aus ihrer Innensicht war also mehr als fällig. Sofia Coppola nützte die Gelegenheit. Große Aufmerksamkeit war garantiert. Die Regisseurin entwickelt in jeder ihrer Produktionen viel Sensibilität für die schmerzhafte Isolation jener Frauen, die gleichzeitig alles und nichts haben, 2006 in Marie Antoinette,  jetzt in Priscilla.

Die Handlung entwickelt sich getreu des Tagebuchs von Priscilla Presley. Sie zeigt die Befreiung einer Frau der sechziger Jahre aus dem damals aufgezwungenen Rollen-Korsett der Passivität und Duldung. Eine unbedarfte Vierzehnjährige (großartig gespielt vom jungen Talent Cailee Spaeny) die sich auf einem Armeestützpunkt der US Army in Deutschland langweilt, ein viel älterer, sehr berühmter Rock’n’Roll Star, eingerückt als Soldat, der Heimweh nach Texas hat. So beginnt die Love-Story von Priscilla und Elvis. Bald wird daraus das glamouröseste Paar Amerikas, verehrt von Abertausenden, doch in der luxuriösen Villa auf Graceland lauert schon am Anfang die Einsamkeit. Priscilla, die von ihren Eltern nolens volens die Erlaubnis bekommt, mit fünfzehn zu ihrer großen Liebe zu reisen, mit der Auflage, dort das College fertig zu machen, kommt, wenn Elvis auf Tournee ist, aufs Abstellgleis. Und wartet, wartet und wartet. Ein Leben des Wartens hinter geschlossenen Fenstern auf plüschigen Teppichböden, das wird ihr Schicksal. Viele, viele Jahre lang. Niemand kümmert sich um sie, um dieses Kind mit den großen verlorenen Augen, das Mädchen, das zu ihrer großen Liebe gereist ist, aber diese fast nie erreicht. Niemand beachtet sie. Sie ist Eigentum des Weltstars, damit tabu. Eine weibliche Nicht-Existenz. Auch wartet sie Jahre lang vergeblich auf Sex und kann ihr heißes junges Begehren nie stillen, denn ihr Lover ist mehr an Schlafmitteln und Junk-Food interessiert als an ihrer Libido. Elvis The Pelvis ist keineswegs eine Sex machine. Er missbraucht Priscilla als Mutterersatz, als kindliche Begleiterin, weil ihm erwachsene Frauen zu dominant sind. Hinter seinem glitzernden Charisma lauert weltfremde Grausamkeit. Statt mit ihr Liebe zu machen, huldigt er dem Fetisch ihrer kindlichen Unschuld und unterwirft sie gleichzeitig einem System von Frauenfeindlichkeit, Zwang und Kontrolle. Irgendwann kommt es dann doch zum Verkehr, in der Hochzeitsnacht, nach sieben Jahren des Zusammenlebens. Sie wird schwanger und damit fällt auch der von ihr langersehnte Honeymoon nach Europa flach, auf dem sie ihn für sich allein gehabt hätte.

Von nun an wartet sie mit dem Kind am Arm, während er mit seinen johlenden Kumpels in den Tourbus steigt und schon wieder weg ist. Seine sporadische Anwesenheit ist eine drogen-und alkoholinduzierte immerwährende Abwesenheit. Und Priscilla ist in den Jahren ihrer Pubertät und frühen Jugend allein. Nie darf sie eine Freundin mit nach Hause nehmen, argwöhnisch meidet sie die Kommilitoninnen, schweigt in der Schule und dockt nirgends an. Das ist ihr Leben, gesehen aus heutiger Perspektive. Ein Horror movie. Doch auch eine Coming of Age Story, denn Priscilla steigt aus. Das junge Mädchen, das es einst nicht fassen konnte, dass die Rock Legende sich aus gerechnet in sie verliebt, wird zu einer Frau, die sich nach vielen Jahren entscheidet, den King und den Goldenen Käfig zu verlassen. Hilfreich war die Energie der 70er Jahre mit ihrer Aufweichung der Rollenerwartungen, mit Womens‘ Lib, Hippie und Flower-Power. All die Mieder, Petticoats und toupierten Turmfrisuren verschwanden und machten kurzen, den Körper umspielenden Schwebekleidern Platz. Zwänge verrotteten. Sich als Frau von einem einzigen Mann und seinen Süchten quälen zu lassen, seine Affären zu tolerieren, sich den ganzen Tag lang zu schminken und auf seine Rückkehr aus gewonnener Schlacht zu warten war out.

Priscilla ist für mich der nachhaltigste und stimmigste Film über drei unterschiedliche Heldinnen. Eine reale Person in einem realen Setting entscheidet sich für die Freiheit. Traum geplatzt, Traumprinz vom Sockel gestoßen, raus in die Welt. So soll es sein.

 

[1] Anna Wollner: „Elvis“ ist großes Kino auf fast allen Ebenen, in: NDR, 24.1. 2023

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