Der Film ‚Eine neue Freundin‘ – gut gemeint, aber müder Plot

Meine Erwartungen an den Film waren groß. Der Regisseur: Francois Ozon. Der Plot: Eine Frau beginnt eine Affäre mit dem Ehemann ihrer soeben verstorbenen Busenfreundin, der sich zuerst nur in den eigenen Wänden, dann auch öffentlich als Frau kleidet und so fühlen will. Eine Transgender Story von einem der besten französischen Gegenwartsregisseure also. Kann nur gut sein, dachte ich.

Leider nicht. Der Film mäandert ziellos dahin, überfrachtet von zu viel Symbolik, von zu vielen einander konkurrierenden Themenfeldern, die alle nur angerissen und nicht zu Ende gebracht werden. Die Anfangssequenz : das Begräbnis einer jungfräulich geschmückten Braut, dann kursorische, kitschige Rückblenden in die Kindheit zweier bester Freundinnen – Leben auf einem Schloss, Herumgetänzle zweier rosagewandeter Gören in einer Parklandschaft, viel Jungmädchenblumenzauber und ständiges gegenseitiges Haare kämmen bei wehenden Vorhängen im Gegenlicht, liebliche Kleidchen, viel Weichzeichner. Die eine, Claire, rothaarig und ohne Schloss himmelt die andere, Laura, blond und mit Schloss an. Beide heiraten gleichzeitig, bald darauf stirbt die angehimmelte Schlossbesitzerin. Großer Schmerz, triefende Trauerrede, aber es gibt ja noch den Witwer, David und das Baby der jung Verblichenen. Das sollte genügen, um die bis dahin tröge dahinschleichende Handlung ins Rollen zu bringen. Erster Höhepunkt: Claire dringt ungebeten in Davids Haus ein und überrascht ihn in Frauenkleidern mit Baby auf dem Schoß. Surprise, surprise. Diese Szene hat es allen Feuilletonisten sosehr angetan, dass sie großzügig auf den müden Plot vergessen und über den peinlichen Schluss auf der Intensivstation hinwegsehen, als Claire den nach einem Unfall komatösen David mit dem Singsang „erwache, du bist eine Frau, du bist eine Frau“ wieder zum Leben erweckt. Eine Szene, bei der man nicht weiß, ob man sich für Ozon fremdschämen soll oder lieber doch schallend zu lachen beginnen möchte.

Ja, ein Mann als Frau. Das ist immer noch für fast alle – insbesondere für die wohlmeinenden Filmkritiker – ein solches Skandalon, dass sie sich an diesem Bild wie an einem Monument abarbeiten müssen, aus lauter Angst, als uncool zu gelten, wenn sie es nicht tun (siehe entsprechender Artikel in der FAZ z.b.). Und auch Ozon war wohl sosehr in die von ihm inszenierte Mann-Frau verliebt, dass er auf deren Gegenpart, die eigentliche Protagonistin glatt vergessen hat, denn je mehr der Mann sich in seinem Frausein entfaltet, desto schwächer wird die Figur Claire. Je mehr David seinen „Schein“ lebt, desto mehr verblasst sie. Das ist die einzige, vermutlich nicht einmal intendierte Logik des Plots.
Die weibliche Hauptfigur ist also unscheinbar, unerotisch, ohne Persönlichkeit, eine Zicke, die vor großen Gefühlen davonläuft und große Momente nicht leben und genießen kann. Ein Hasenfuß. Voller Vorurteile und Klischees. Hat den Sexappeal einer Küchenrolle. Eine Tussi, die aus der Pubertät nicht herausgekommen ist. Ihr Gegenpart, David, der sich immer öfter und immer eindringlicher als Frau fühlt, kleidet und gebärdet dominiert das Geschehen. Authentisch, sich selbst treu steuert er auf ein gesellschaftliches Coming out zu und überrollt sie in vieler Hinsicht: in seinem Verlangen, als Frau-Mann, Mann-Frau geliebt und begehrt zu werden, in seiner Sehnsucht nach Akzeptanz im Außen, in der Zielstrebigkeit, mit der er sein Frausein mittels Kleidung, Schminke, Frisur und Verhalten einübt und inszeniert. Mit seiner eindeutigen Zweideutigkeit, die ihn für das Publikum anziehend und anrührend macht.
Und Claire? Es ist nicht einmal sicher, ob sie überhaupt ein eigenes Begehren hat. Sie ist Sprachrohr seiner inneren Widersprüche, sie ist die Nymphe Echo und der Spiegel des Narziss gleichzeitig. Sie ist sein Außen, seine Umgebung, mal beschützend dann abwehrend, sie bringt ihn als „Virginia“ mütterlich auf die Welt. Eine archetypische Frauenrolle verkörpert sie also einem Mann gegenüber, der seine eigene archetypische Verfasstheit zu überwinden sucht. Das ist nicht das einzige wertkonservative Element in diesem Film. Zum Schluss läuft alles auf die übliche „heterosexuell normierte“ Kleinfamilie hinaus: ein Kind, ein zweites im schwangeren Bauch, eine Mutter und ein Vater – als Blondine inszeniert. Das ist das wahre Skandalon des Films.

Veröffentlicht bei fischundfleisch am 15.04.2015